Frankfurt. Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft, Klaus-Peter Siegloch, spricht mit unserer Redaktion über neue Herausforderungen für die Branche, Nachtflüge und die tatsächlichen Belastungen durch Fluglärm in Deutschland
Wie viele Kilometer sind Sie in diesem Jahr geflogen?
Siegloch: Ich bin jede Woche mindestens zweimal geflogen und komme jetzt gerade aus einem Mexiko-Urlaub zurück. Ich schätze, ich war in diesem Jahr rund 44000 Kilometer im Flugzeug unterwegs. Meinen Senator-Status habe ich mir ehrlich erflogen.
Was erwarten Sie vom neuen Bundesverkehrsminister?
Siegloch: Alexander Dobrindt muss die Herausforderungen für unsere Branche wahrnehmen und die Probleme entschlossen anpacken. Wenn die Luftfahrt Probleme hat, bringt das Probleme für die gesamte deutsche Wirtschaft mit sich. Das Ifo-Institut hat die deutschen Unternehmen befragt. In den wichtigsten Industrien bezeichnen 80 bis 90 Prozent die deutsche Luftfahrt als wichtig oder sehr wichtig.
Welche Herausforderungen meinen Sie?
Siegloch: Zum Beispiel die Luftverkehrssteuer, die nur in Deutschland das Fliegen verteuert. Die Luftverkehrssteuer zeigt wie in einem Brennglas, was passiert, wenn die Politik einen Alleingang macht. Luftfahrt ist ein internationales Geschäft. Wenn das national geregelt wird, hat das sofort Auswirkungen auf den Wettbewerb. Die Passagiere weichen wegen dieser Steuer auf grenznahe Flughäfen und Drehkreuze im Ausland aus. Das ist ein ganz normales Verhalten im Zeitalter des Internet-Preisvergleichs. Aber wir sind im Hinblick auf Alexander Dobrindt guter Hoffnung. Die CSU hat bei diesen Themen immer ein offenes Ohr gehabt. Bayern hat sich schon mit großem Nachdruck für die Abschaffung der Luftverkehrssteuer eingesetzt.
Sie haben bei der Forschungsgruppe Wahlen eine umfangreiche Umfrage zum Thema Luftfahrt in Auftrag gegeben. Was ist das überraschendste Ergebnis?
Siegloch: Das Fluglärm-Problem wird eindeutig überschätzt. Erstaunt hat mich die Diskrepanz zwischen den Menschen, die sich durch Fluglärm beeinträchtigt fühlen und der allgemein vermuteten Belastung. Nur drei Prozent der Bundesbürger sagt: Wir werden durch Fluglärm stark oder sehr stark gestört. Die Zahl derer, die sich von Fluglärm belästigt fühlen hat sich in den vergangenen zwölf Jahren mehr als halbiert. Rund 60 Prozent der Bevölkerung glaubt aber, das mindestens jeder zehnte Deutsche unter Fluglärm leidet. 28 Prozent der Befragten gaben sogar an, dass jeder dritte Deutsche unter Fluglärm leidet.
Wie erklären Sie diese Diskrepanz?
Siegloch: Ich glaube, dass das viel mit der umfangreichen Berichterstattung in den Medien zu tun hat. Aber wir wollen das Thema auch nicht kleinreden. Natürlich ist Fluglärm für die Betroffenen ein großes Problem. Es gibt nur viel weniger Betroffene als angenommen.
Was tut die Branche gegen den Fluglärm?
Siegloch: Die deutsche Luftfahrt investiert in den nächsten Jahren rund 37 Milliarden Euro in neue Flugzeuge. Jede neue Flugzeuggeneration ist deutlich leiser als der jeweils aktuelle Bestand. Beim A380 ist das zum Beispiel sehr deutlich zu spüren: Das derzeit größte Passagierflugzeug der Welt ist ein sehr leises Fluggerät. Zusätzlich werden die deutschen Flughäfen in den nächsten Jahren 400 bis 600 Millionen Euro in den
passiven Schallschutz investieren.
Die Luftfahrt steht wirtschaftlich enorm unter Druck. Besteht die Gefahr, dass am Lärmschutz gespart wird?
Siegloch: Nein. Die Fluggesellschaften haben ein natürliches Interesse daran, kostengünstig und damit energiesparend und leise zu fliegen.
Schon deshalb investieren sie in neues Fluggerät. Außerdem sind wir an guter Nachbarschaft mit den Flughafen-Anwohnern interessiert. Deshalb wollen wir diese Investitionen machen. Aber Sie haben recht: Der Druck wird grösser. Das ist Marktwirtschaft. Die Fluggesellschaften wollen keine staatlichen Zuschüsse. Aber wir möchten von der Politik auch nicht mit unnötigen Zusatzbelastungen daran gehindert werden, in umweltschonende und leise Flugzeuge zu investieren.
Sind Nachtflugverbote nicht der wirksamste Lärmschutz?
Siegloch: Wir wollen nicht überall Nachtflüge, aber an einigen Flughäfen brauchen wir sie einfach. Zum Beispiel in Köln. Das ist der drittgrößte deutsche Frachtflughafen. Die Umläufe im Frachtgeschäft funktionieren ohne Nachtflüge nicht. Auch in den Tagesrandzeiten zählt jede Minute. Würden die Nachtflugverbote in Deutschland noch weiter ausgedehnt, würden wir damit vom internationalen Wettbewerb abgekoppelt, denn an den großen europäischen Flughäfen gibt es Nachtflugmöglichkeiten. Sicher sind Nachtflüge eine Belastung für die Anwohner. Sie müssen auf ein Mindestmaß beschränkt sein . Aber es muss und wird sie auch weiterhin geben.
Hat Deutschland zu viele Flughäfen?
Siegloch: Das bestimmen letztlich die Passagiere. Wir als Verband sagen: Ein Flughafen muss sein laufendes Geschäft selbst finanzieren können. Gerade kleine Flughäfen können manchmal nicht ohne Starthilfen gebaut werden. Allerdings muss dann auch Schluss mit den Zuschüssen sein. Ihren Betrieb müssen alle Flughäfen kostendeckend organisieren können.
Wie groß ist die Bedrohung der deutschen Luftfahrt durch die Nahost-Carrier?
Siegloch: Die arabischen Fluggesellschaften sind Marktteilnehmer, die mit großem staatlichen Wohlwollen gefördert werden. Dort gibt es keine Streiks und keine Nachtflugverbote. Und niedrigere Flughafengebühren, weil auch die Flughäfen in den Scheichtümern dem Staat gehören. Es ist sehr schwierig, sich gegen solche Wettbewerber zu behaupten. Aber wir schaffen das. Die deutschen Fluggesellschaften wollen keine Subventionen, aber auch keine zusätzlichen Belastungen. Auch die Türkei fördert den Luftverkehr sehr stark. In Istanbul entsteht gerade ein neuer staatlicher Großflughafen für 150 Millionen Passagiere, der ab 2020 ohne Nachtflugverbot in den Wettbewerb geht.
Wird Fliegen teurer?
Siegloch: Fliegen verbindet weit entfernte Ziele schnell und sicher. Im Zeitalter der Globalisierung ist das eine unschätzbar wertvolle Funktion. Deswegen müsste Fliegen auf bestimmten Strecken eigentlich teurer werden, aber der Konkurrenzkampf ist so hoch, dass man auch in Zukunft viele preiswerte Tickets finden wird.
Was bedeutet der Rückzug der Marke Lufthansa auf den Strecken, die nicht über die Drehkreuze Frankfurt und München abgewickelt werden für die Branche?
Siegloch: Das ist eine der Konsequenzen dieses harten Wettbewerbs. Die Lufthansa hat über Jahre in den deutschen und europäischen Streckennetzen viele Millionen Euro verloren. Das konnte so nicht so weitergehen. Die Lufthansa hatte die Wahl, dieses Angebot einzustellen, oder ein neues Preismodell zu finden, indem sie den innereuropäischen Verkehr ihrer Tochter Germanwings überlässt. Soweit ich das bisher beurteilen kann: Das scheint zu funktionieren. Daran können wir alle nur Interesse haben: So ist gewährleistet, dass man zum Beispiel von Düsseldorf auch künftig weiter in viele europäische Metropolen fliegen kann.
Warum kann Germanwings günstiger fliegen ?
Siegloch: Germanwings arbeitet viel online-basierter, hat weniger Verwaltung und günstigeren Vertrieb.
Haben deutsche Fluggesellschaften zu hohe Personalkosten?
Siegloch: Bei künftigen Tarifverhandlungen werden die Fluggesellschaften schon auf die Konkurrenz im Ausland verweisen müssen. Wir sind relativ teuer. Aber nicht nur in der Luftfahrt. In der gesamten Volkswirtschaft. NRW will Logistik-Drehscheibe für Europa werden.
Welche Rolle spielt dabei die Luftfahrt?
Siegloch: Eine sehr zentrale. Köln-Bonn ist heute schon ein europaweit bedeutendes Frachtzentrum in Deutschland. NRW hat die günstige geografische Lage. Die großen Autobahnströme kreuzen alle NRW. Ich glaube, dass NRW ein hervorragender Logistikstandort werden kann. Ich finde es toll, dass sich das Frachtzentrum am Kölner Flughafen so gut entwickelt. Das ist eine Erfolgsgeschichte. Der Fracht-Flugverkehr wird in NRW deutlich steigen. Im Personenluftverkehr haben wir eine gewisse Stagnation bei den Starts- und Landungen. Das hängt auch damit zusammen, dass die Flugzeuge größer werden und ihre Kapazitäten besser genutzt werden.
Wird 2014 für die Luftfahrt ein gutes Jahr?
Siegloch: Ich hoffe, dass es besser wird als 2013. Wir blicken mit Optimismus in die Zukunft.
Quelle: csi
http://www.rp-online.de/panorama/das-fluglaerm-problem-wird-eindeutig-ueberschaetzt-aid-1.3912258