Schlaf ist Bürgerrecht

Vernachlässigte Aspekte und ökonomische Scheinargumente im Streit über das Nachtflugverbot an deutschen Flughäfen

Die Diskussion über den Nachtflugbetrieb am Flughafen Köln/Bonn lebt nach der Berliner Regierungsbildung neu auf. Vier Aspekte sollen in diesem Beitrag zur Sprache gebracht werden: ein juristischer, ein ökonomischer, ein statistischer und ein arbeitsmedizinischer. Juristisch verblüfft es, dass die einseitige Gewichtung wirtschaftlicher Belange gegenüber Anwohnerinteressen bei bestehenden Flughäfen in unserer Rechtsordnung nahezu einzigartig ist. In allen anderen Umweltfragen hat heute der Gesundheilsschutz höchsten Stellenwert, was aus anerkannten grundgesetzlichen Schutzpflichten des Staates folgt. Auch beim Neu- oder Ausbau von Flughäfen hat der Gesundheitsschutz hohen Rang im Planfeslstellungsverfahren und führt dort nahezu selbstverständlich zu strikten Nachtflugbeschränkungen – siehe Frankfurt und Berlin.
Demgegenüber können sich Bestandsflughäfeln wie Köln/Bann auf Jahrzehnte alte Privilegien berufen. Mit Verweis auf die wirtschaftliche Bedeutung wird dort einerseits ein fast unbeschränkter Nachtbetrieb ermöglicht, andererseits ein deutliches Defizit beim Gesundheitsschutz akzeptiert.
Bloße Tradition rechtfertigt diese Schieflage allerdings nicht. Würde man das Verfassungsrecht strikt – lege artis anwenden, müsste ein schonender Ausgleich zwischen wirtschaftlichen und gesundheitlichen Belangen gesucht werden.
Die Privilegierung der Luftverkehrswirtschaft ist nur durch exzeIlente Lobbyarbeit, die (verständliche) Faszination der Entscheider für den Flugverkehr sowie große Unkenntnis über die Lage der vom Fluglärm Betroffenen zu erklären.
Dabei wäre die wirtschaftliche Beeinträchtigung durch eine Nachtruhe von 22 bis 6 Uhr in Wahrheit gering: Die Fracht löst sich durch ein Start- und Landeverbot nicht in Luft auf. Sie würde eben nur nicht um 3 Uhr nachts, sondern um 6 Uhr morgens befördert.
Verlagerungen zu Flughäfen mit liberaleren Regeln ließen sich durch ein einheitliches bundes- oder europaweites Nachtflugverbot verhindern. Käme es dazu, hätte das Nachtflugverbot keine spürbaren negativen Folgen – weder für die Luftverkehrswirtschaft noch für die Volkswirtschaft insgesamt. Der Nutzen für Gesundheitsschutz und Lebensqualität hingegen wäre immens. Erst recht gilt dies im Blick auf Passagierflüge: Niemand macht seinen Mallorca-Urlaub von einem Start mitten in der Nacht abhängig.
Sollten einzelne Nachtflüge notwendig sein, etwa zum Transport von verderblichen Waren oder Medikamenten, dann könnten Flughäfen in dünn besiedelten Gebieten genutzt werden, nicht solche am Rande von Millionenstädten.
Statistisch wird die Zahl der Fluglärmbetroffenen und deren Belastung durch bemerkenswerte Tricks kleingerechnet. Schaut man sich die offizielle Lärmkartierung des NRW-Umweltministeriums an, dann erscheint etwa das linksrheinische Köln als eine Oase der Ruhe. Nur ein vergleichsweise kleiner Bereich unmittelbar am Flughafen ist als Fluglärmbelastet ausgewiesen. Erreicht wird dies durch eine (hier vereinfachte) Durchschnittsrechnung: Wird ein Punkt des Kölner Stadtgebiets in jeder dritten Nacht zehnmal mit einer am Boden wahrnehmbaren Lautstärke von 85 Dezibel überflogen, dann ist der durchschnittliche Lärmpegel minimal – gerechnet auf die gesamte Nacht und erst recht auf den Jahresverlauf. Für die Betroffenen sind die zehn Überflüge hingegen unerträglich laut. Die Lärmkartierung erweist sich somit als reine Beruhigungspille.
Wird die wirtschaftliche Bedeutung des Nachtflugs betont, ist dem auch zu entgegnen: Ökonomisch gar nicht hoch genug einzuschätzen ist die arbeitsmedizinische Wirkung lärmbedingter Schlafstörungen.
Was die Wirtschaft in unserer Wissensgesellschaft primär braucht, sind ausgeschlafene, geistig leistungsfahige Beschäftigte. Große volkswirtschaftliche Verluste treten nicht erst durch Erkrankungen ein, sondern schon durch lärmbedingte Leistungsminderung am Arbeitsplatz. Ob die Fracht nachts um drei oder erst morgens um sechs fliegen kann, fällt demgegenüber ökonomisch nicht ins Gewicht. Sprüche wie „Die Fracht braucht die Nacht“ helfen da nicht weiler. Vielmehr gilt: Der Mensch braucht die Nacht. Für einen gesunden Schlaf.
www.umgebungslaermkartierung.nrw.de
Bestehende Flughäfen wie Köln/Bonn können sich beim Nachtflug auf Jahrzehnte alte Privilegien berufen
Stefan Greiner ist Professor für Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Bonn. Er befasst sich unter anderem mit den arbeitsrechtlichen und ökonomischen Folgen gesundheitlicher Leistungsminderung am Arbeitsplatz.

Quelle : Kölner Stadt-Anzeiger vom 29.01.2014

Mitglied werden

Hinweis: Das Pflichtfeld ist mit einem * gekennzeichnet. Alle weiteren Felder sind freiwillige Angaben. Ihre Daten werden nur streng zweckgebunden zur Bearbeitung und Beantwortung Ihrer Anfrage elektronisch erhoben und gespeichert. Informationen zu der Datenverarbeitung finden Sie hier: Datenschutz.

Oder schreiben Sie uns einfach eine E-Mail

Sie können sich alle Seiten vorlesen lassen. Markieren Sie dazu einfach den gewünschten Text und die Textpassage wird vorgelesen.